Harald Schmidt
Harald Schmidt
Entertainer Harald Schmidt
Harald Schmidt, 1957 in Neu-Ulm geboren, hat seine Kindheit und Jugend in Nürtingen verbracht. Bereits als Schüler des Hölderlingymnasiums fiel er durch seine kabarettistisch-parodistischen Einlagen auf.
Seine weiteren Stationen:
- Schauspielschule Stuttgart
- Engagement bei den Städtischen Bühnen Augsburg
- Düsseldorfer "Kom(m)ödchen"
- Kabarettsoloprogramme.
Inzwischen zählt der mehrfach ausgezeichnete Schmidt (Grimme-Preis, Tele-Star, Bambi, Goldene Kamera) zu den bekanntesten deutschen Entertainern. Mit der Harald Schmidt Show im Nachtprogramm hat er bei seiner Fangemeinde Kultstatus erlangt.
Lesen Sie das Maientagsgedicht von Harald Schmidt über Nürtingen:
Maientag
Amerika hat den Tag der Unabhängigkeitserklärung, Paris den Sturm auf die Bastille und Nürtingen den Maientag. Am Maientag regnet es. Meistens. Oder es fängt an zu regnen, kurz nachdem der Umzug losgegangen ist. Oder das Wetter hält grad noch, bis der Umzug fertig ist. Oder es gießt am Abend vorher, beim Maientagssingen der Schulen im Hof der Stadthalle wie aus Kübeln und am nächsten Morgen ist das schönste Wetter. Was koiner denkt het. Beim Maientags singen sind nicht ganz so viele Leute da wie später im Festzelt oder beim Boxautofahren, aber alle singen am Schluss: Geh' aus mein Herz und suche Freud".
Hier ist allerdings nicht die Rede vom Wiener Erfinder der Psychoanalyse, (Kalauer, wird in den Hausaufsätzen der Hölderlinstadt normalerweise nicht geduldet!) sondern es handelt sich um eine Art Nürtinger Nationalhymne. Der Fremdling staunt vor allem bei den Zeilen Narzissen und die Tulipandie fühlen sich viel schöner an als Salomonis Seide, über die Artikulation der "a" in "Tulipan" und "schöner an", eine Mischung aus a, o und Stöhnen, die für den Nicht-Nürtinger (Reigschmeckten) nicht erlernbar ist. Am Vormittag haben die Schulkinder zu meiner Zeit drei Brezeln und eine Mark erhalten, finanziert aus den Zinsen eines Nürtingers, der "in Amerika reich worra isch".
Am Maientag selber herrscht auf gut Schwäbisch heileif. Ab sechs Uhr morgens ist bei den Damenfriseuren keine Trockenhaube mehr frei, feinsinnige Mitbürger werfen einen besorgten Blick gen Himmel, die Schüler denken: "Hoffentlich fangts net a zom schiffa". Gegen zehn Uhr nimmt der Festzug an der Stadthalle Aufstellung. Die Klassiker im Zug sind "Stadtbrand", Rulaman, Stadtgarde und Stadtkapelle. Diese Abteilungen des Festzuges stellen historisch bedeutende Nürtinger Ereignisse oder Persönlichkeiten dar.
Wer als Schüler in der Stadtgarde mitmarschieren will, muss mindestens einen Meter siebzig groß sein. Dies gilt nicht nur für die Honoratioren, die früher selbst im Zug mitgelaufen sind und heute wie alle Honoratioren von einer schlichten Holztribüne aus die Parade abnehmen. Bei den Teilnehmern begehrte Gruppen im Zug sind weiterhin die Radfahrer, die zwischen die Speichen ihrer Räder bunte Papierbänder gezogen haben, sowie die Maientagstrommler, die sich mit fleißigem Üben während des gesamten Jahres auf den Maientag vorbereiten. In ihrer Nachbarschaft entsteht häufig billiger Wohnraum.
Dann marschiert der Zug los, Brunnsteige, Alleenstraße, Schillerplatz, Neckarsteige, Festplatz. Früher war der Festplatz auf der Schreibere, wo heute das Hallenbad steht. Seit dessen Bau feiert man direkt am Neckar in Oberensingen. Oberensingen ist ein traditioneller Stadtteil, so wie in anderen Städten Harlem oder Pöseldorf. Natürlich haben sich die Oberensinger ihre unverwechselbare Identität bewahrt. Sie heißen "Sandhasen". Die Nürtinger heißen "Stricknadeln", wegen ihrer blühenden Strickwarenindustrie. Auf dem Sportplatz neben dem Festzelt finden im Anschluss an den Umzug Tänze statt, die Sportlehrerinnen mit ihren Schülerinnen einstudiert haben. Hava nagila war früher der Hit. Unter den Zuschauern überwiegen Mütter, Omas, Väter mit Videokameras und verknallte Mitschüler. Manchmal sieht man auch Mütter und Omas mit einer Lanze und einem Helm oder einer Trommel in der Hand. Do, heb mol gschwend.
Der Maientagstrommler oder Stadtgardist ist verschwunden, in der Geisterbahn, auf dem Kettenkarussell und die Oma darf den ganzen Nachmittag auf die kostbaren Requisiten aufpassen. Sollte es jetzt wider Erwarten regnen, gibt es im Zelt keinen freien Platz mehr. Wenn nicht, dann auch nicht. Die Stadtkapelle spielt "Rosamunde"oder "Tulpen aus Amsterdam" und manchmal dirigiert ein Großkopferter, vorausgesetzt, er hat für alle Musiker eine Runde bezahlt.
Prostprostkamerad, prostprostkamerad...Griaß Gott, Herr Doktr...so semmr au bsoffa? Die Dunkelheit macht den Toilettenwagen überflüssig. So, no gammr hoim. -Oma, wo isch mei Drommel? -Wo sen meine Audoschlissl? Was hoißt in meim Zustand nemme fahra? Laufa ka i jo nemme, hahaha... Schee wars. Mr braucht halt jeds Johr meh Geld. Ond Glick hemmr ghet middam Weddr. Kommat guat hoim. Ade...geh aus mein Herz..
(Verfasst anlässlich der Heimattage Baden-Württemberg, die 1989 in Nürtingen stattfanden.)
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