In der dunklen Jahreszeit zeigt sich Nürtingen von seiner leuchtenden Seite.
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Kita-Betreuungsangebote neu konzipiert
Neustrukturierung des Betreuungsangebots an den städtischen Kitas
In den vergangenen Wochen und Monaten mussten Eltern in Nürtingen viel Geduld und Flexibilität beweisen, denn immer wieder konnten städtische Kindergärten und –häuser kurzfristig das Betreuungsangebot nicht gewährleisten. Die Nachwirkungen der Corona-Pandemie, saisonal bedingte Erkrankungen und der Fachkräftemangel waren in Summe ausschlaggebend dafür, dass sich die Personalsituation zunehmend verschärfte und Einrichtungen immer wieder schließen oder die Öffnungszeiten einschränken mussten. Darauf reagiert die Stadt Nürtingen nun durch eine Neukonzeption, welche selbst unter erschwerten Rahmenbedingungen auch künftig eine verlässlichere Betreuung ermöglichen soll.
Steigende Kinderzahlen, der seit 2013 geltende Rechtsanspruch auf Förderung in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege für Kinder unter 3 Jahren sowie immer frühere und längere Betreuungsbedarfe erforderten in den vergangenen Jahren einen deutlichen Ausbau von Kita-Plätzen. Seit 2007 hat sich in der Folge die Zahl der pädagogischen Fachkräfte in Baden-Württemberg mehr als verdoppelt und beträgt nun rund 100.000. Dennoch fehlen laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung derzeit allein in Baden-Württemberg mehr als 17.000 pädagogische Fachkräfte. Der leergefegte Fachkräftemarkt stellt die Kommunen vor eine kaum zu bewältigende Herausforderung, denn freiwerdende und zusätzlich benötigte Fachkraftstellen können nur schleppend und nicht in vollem Umfang wiederbesetzt werden. Mit einer Verbesserung der Situation wird in naher Zukunft nicht gerechnet, was mehrere Ursachen hat: Viele Fachkräfte gehen in den kommenden Jahren in den Ruhestand und die insbesondere während der Corona-Pandemie erschwerten Rahmenbedingungen führten dazu, dass viele Fachkräfte ihren Beschäftigungsumfang reduzierten oder sich gar komplett von diesem Berufsfeld verabschieden.
Die durch den Personalmangel ständig wiederkehrenden Reduzierungen der Öffnungszeiten bereiten den Familien immer wieder Schwierigkeiten bei der Organisation von Familie und Beruf, belasten aber auch zunehmend das Kita-Personal. „Wir alle brauchen wieder mehr Stabilität und Verlässlichkeit“, so Bürgermeisterin Annette Bürkner. „Wir alle müssen realisieren, dass sich Fachpersonal auf absehbare Zeit nicht in der erforderlichen Zahl gewinnen lassen wird, da es am Markt derzeit nicht verfügbar ist. Dies bedeutet, dass wir strukturelle Anpassungen und Angebotsveränderungen vornehmen müssen. Wir wollen mit den tatsächlich verfügbaren Personalressourcen die bestmögliche Lösung gestalten.“
Die Verwaltung hat dazu diverse Überlegungen angestellt und die aktuelle Belegungssituation analysiert. Mit dem neuen Konzept soll ab dem kommenden Kindergartenjahr 2023/2024 ein verlässliches Angebot für möglichst viele Kinder vorgehalten werden, welches so wenig wie nötig in bestehende und funktionierende Strukturen der einzelnen Einrichtungen eingreift. Angesichts der reduzierten Personalressourcen ist eine Kürzung des Betreuungsangebots aber unvermeidbar. Damit die Reduzierungen jedoch nicht zu massiv ausfallen, leistet auch das Personal einen Beitrag, indem die Vor- und Nachbereitungszeiten der pädagogischen Fachkräfte in Teilen auf das vorgeschriebene Mindestmaß von zehn Stunden pro Gruppe abgeschmolzen werden. Dies entspricht einem Umfang von ca. zehn Vollzeitstellen, die zusätzlich in die Angebotsplanung mit eingebracht werden können. Das Ganztagsangebot mit 45 oder mehr Wochenstunden an allen Ü3-Einrichtungen muss zum kommenden Kindergartenjahr aufgegeben werden. Die 40-Stunden-Angebote werden auf weniger Einrichtungen als bislang konzentriert. Im Gegenzug werden die 30- und 35-Stunden-Angebote ausgebaut. Neu hinzukommen soll ein 25-Stunden-Angebot. Eltern, welche ein 35- oder 40-Stunden-Angebot in Anspruch nehmen wollen, müssen künftig einen Beschäftigungsnachweis erbringen, damit die Stadt eine möglichst faire und bedarfsgerechte Vergabe dieser Angebote sicherstellen kann.
Mit der Neustrukturierung des Angebots können zum kommenden Kindergartenjahr ca. 75 zusätzliche Kita-Plätze gewonnen werden, was vielen Eltern helfen wird, denn derzeit befinden sich rund 250 Kinder auf der Warteliste.
Unverändert hohe Bedeutung misst die Stadt Nürtingen weiterhin der Ausbildung von Fachkräften bei. So soll die Zahl der Ausbildungsstellen nochmals steigen. Nachwuchskräfte, welche sich für eine praxisintegrierte Erzieherausbildung (PIA) entscheiden, werden auch weiterhin nicht auf den Personalschlüssel angerechnet, sodass diese zusätzlich zu den pädagogischen Fachkräften zum Einsatz kommen und den Beruf ohne Druck erlernen können. Dadurch soll qualifizierter Nachwuchs gewonnen und durch weitere Maßnahmen langfristig gebunden werden.
Diese Maßnahmen kommen den Kindern wie deren Eltern zu Gute. Daher werden diese Schritte nicht nur von Experten wie dem Freiburger Professor für Entwicklungspsychologie Klaus Fröhlich-Gildhoff befürwortet, sondern auch vom Nürtinger Gesamtelternbeirat unterstützt. In den Augen von dessen Erstem Vorsitzenden Michael Pauli überwiegen die dadurch zu erwartenden positiven Effekte für eine Vielzahl an Eltern deutlich die Einschränkungen, welche einige Betroffene hinnehmen müssten und betont, dass der Solidaritätsgedanke angesichts der schwierigen Rahmenbedingungen wieder stärker gelebt werden müsse.
„Eine Vergrößerung der Gruppen, wie es das Land vorübergehend erlaubt, ist aus pädagogischer Sicht nicht zielführend“, führt Bürgermeisterin Annette Bürkner aus. Sie würde am ehesten an der Stellschraube Fachkräftekatalog ansetzen. Mit Blick auch auf die in 2026 anstehende nächste Herausforderung des Rechtsanspruches auf ein Ganztagsangebot in Grundschulen sieht Bürkner eine Aufweitung des Fachkräftekatalogs, der den Einsatz auch von nicht-pädagogischen Betreuungskräften ermöglicht, die im Tandem mit einer Erzieherin oder einem Erzieher arbeiten würden, für die künftige Sicherung kommunaler Betreuungsangebote als wesentlich hilfreicher an. Und sie benennt noch einen weiteren Ansatzpunkt: „Mit dem in Baden-Württemberg gültigen Personalschlüssel befinden wir uns bundesweit sowohl im U3 wie Ü3-Bereich an der absoluten Spitze.“
Die Neukonzeption wurde zu Beginn dieser Woche mit dem Kita-Personal, dem Gesamtelternbeirat und den Elternbeiräten der einzelnen Kindertageseinrichtungen erörtert. Alle Eltern wurden über die geplante Neustrukturierung mit einem Elternbrief informiert. Dem Gemeinderat wird am 21. März 2023 die Neuplanung zur Entscheidung vorgelegt.
Unabhängig von den Warnungen der Kommunen und deren Spitzenverbände vor dem Kollaps des Betreuungssystems will sich auch der Gesamtelternbeirat in einem Zusammenschluss mit dem Landeseltenbeirat mit einem Appell an das Land Baden-Württemberg mit seinem Wahlkreisabgeordneten und Landesvater Wilfried Kretschmann richten, um viele der zu starren Vorgaben für den Betrieb der Kitas in Zeiten des Fachkräftemangels zu lockern.
01.03.2023