In der dunklen Jahreszeit zeigt sich Nürtingen von seiner leuchtenden Seite.
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Zauberhaft verhext
Von Amulett bis Zauber-Rezept: die neue Ausstellung vom 12. April bis 12. Oktober im Stadtmuseum zeigt die ganze Bandbreite gelebten Aberglaubens in der Region. Angesichts von Stalltüren mit Schadensabwehrzeichen oder dem Koffer eines Hexenbanners kann man sich wahlweise gruseln, wundern oder amüsieren.
Früher schob man Schicksalsschläge wie Unwetter, Feuer oder Krankheit auf böse Zauber und Hexerei. Auch nach dem Ende der Hexenprozesse im 18. Jahrhundert lebte die Furcht vor Hexen und bösen Geistern in allen Bevölkerungsschichten weiter. Unheimliches und Unerklärliches und die vermeintlichen geheimen Kräfte im Kosmos faszinieren viele Menschen bis heute. Tatsächlich schlägt sich mancher Aberglaube in unseren kleinen Ritualen und Gebräuchen nieder. Das Bleigießen in der Neujahrsnacht oder die das vierblättrige Kleeblatt als Glücksbringer zeugen davon.
Das Jahreshoroskop, der Neujahrsgruß, die heilsame Kraft von Steinen und Metallen um ihrem Glück auf die Sprünge zu helfen, um etwas über ihr Schicksal zu erfahren oder sich geheime Wünsche zu erfüllen, entwickelten die Menschen viele Vorstellungen und Methoden. Ein kommerzieller Esoterik-Markt bedient mit einem reichen Angebot das Bedürfnis, sein Schicksal zu manipulieren. Häufig werden neben magischen Praktiken auch Inhalte von Religionen aus ihren Zusammenhängen herausgelöst und den Bedürfnissen der Nutzer angepasst. Volkskundler sprechen bei solchen Prozessen von Aberglauben.
Die Ausstellung im Nürtinger Stadtmuseum präsentiert mit außergewöhnlichen Objekten einen Überblick über Lebenshilfen zwischen Religion und Magie. Zu sehen sind unter anderem Amulette, Andachtsbilder, Horoskope, Schutzbriefe sowie der Koffer eines Hexenbanners aus Wolfschlugen, der noch bis in die 1950er Jahre bei Unglück in Haus und Hof gerufen wurde. Mit Hilfe von historischen volkskundlichen Quellen wird ein Bild vom Glauben und Aberglauben im südwestdeutschen Raum gezeichnet. Viele Gegenstände stammen aus dem Landkreis Esslingen, so eine Stalltür mit magischen Zeichen zur Schadensabwehr, der Koffer des Hexenbanners und als Leihgabe der Landesstelle für Volkskunde in Stuttgart die Abschrift eines Hausbuchs der Familie Schroth aus Wolfschlugen mit pseudomedizinischen Rezepten, Anweisungen zum Gegenschadenszauber sowie Beschwörungsformeln.
Es war der früher von Wendlingen aus aktive Hobby-Sammler Jürgen Koch, der zahlreiche Aberglaubens-Objekte aus der Region zusammentrug und vor Jahren im Freilichtmuseum Beuren zeigte. 2006 übergab er die Objekte an die von Dr. Stephan Bachter, Dr. Claudia Preis und Bernd Stepp gegründete artefakte GbR, die diese kulturhistorische Sammlung wissenschaftlich erschloss, durch gezielte Erwerbungen ergänzte und didaktisch aufbereitete.
Dr. Stephan Bachter ist freiberuflicher Volkskundler, 2006 promovierte er an der Universität Hamburg mit einer Dissertation über Zauberbücher. Er war von 2006 bis 2013 Mitglied im Wissenschaftsrat der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (Die Skeptiker). Sein Fokus in zahlreichen Veröffentlichungen liegt auf der kulturwissenschaftlich-kritischen Analyse von Phänomenen des Aberglaubens, wie sie im Zusammenhang mit Bräuchen und Prophezeiungen immer noch existieren.
Bürgermeisterin Claudia Grau begrüßt es, dass die Nürtinger Stalltür mit Hexenabwehr-Zeichen für ein halbes Jahr an ihren Ursprungsort zurückkehrt: Ich bin erstaunt, welche Rolle abergläubische Vorstellungen im Alltag der vermeintlich so nüchternen Schwaben gespielt haben. Die Sonderausstellung passt auch gut zur Dauerausstellung des Nürtinger Museums. Für die stadtgeschichtliche Abteilung hat die Historikerin Petra Garski-Hoffmann sechs Nürtinger Hexenprozesse analysiert und sie auf ihre Ursachen zurückgeführt: Krieg, Pest, Unwetter, Hungersnöte. Die wissenschaftliche Bekämpfung des Aberglaubens ist auch heute noch wichtig, findet die Bürgermeisterin.
Die Ausstellung Von Hexenbannern und Glücksbringern ist von 12. April bis 12. Oktober im Stadtmuseum in der Wörthstraße 1 zu sehen. Öffnungszeiten sind Dienstag, Mittwoch und Samstag von 14.30 bis 17 Uhr und Sonntag von 11 bis 18 Uhr, Tel. 0 70 22 - 3 63 34, www.stadtmuseum-nuertingen.de