In der dunklen Jahreszeit zeigt sich Nürtingen von seiner leuchtenden Seite.
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Geschichte zum Anfassen
Geschichte zum Anfassen
„Das Wesen der Geschichte ist die Wandlung“. Diesem Zitat des Schweizer Humanisten Jacob Burckhardt folgt das Nürtinger Stadtmuseum in doppelter Hinsicht: Es präsentiert seine Abteilung, in welcher die Industriegeschichte der Neckarstadt erlebbar gemacht wird, in neuem Gewand und bildet den Wandel ab, den das Stadtbild und die Bürgerschaft in 100 Jahren einer besonders prägenden Epoche erfahren haben. Klein, aber fein: So präsentierte sich die in den Jahren 1994 und 1995 mit sparsamsten Mitteln eingerichtete Ausstellung noch bis vor wenigen Wochen. Betrat man die Räume der rund 160 Quadratmeter großen Ausstellungsfläche, hatte man nie den Eindruck eines sterilen Museumsbetriebes. Man hatte eher das Gefühl eine Zeitmaschine zu besteigen und mit dem Übertreten der Schwelle in das Zimmer einer vergangenen Epoche einzutreten. Diesen Charme bewahrt sich die Abteilung in den Räumlichkeiten des ehemaligen Nürtinger Schützenhauses. Verändert wurden dagegen die Raumaufteilung, grafischen Darstellungen und Anordnungen der ausgestellten Objekte. Neue Ausstellungsstücke hauchen der Nürtinger Historie zusätzlich Leben ein. Ein Film illustriert, was sich hinter der „Stadt der guten Strickwaren“ verbarg. Außerdem kann man die Geschichte jetzt auch dank interaktiver Elemente buchstäblich erfühlen. Der zeitliche Bogen der Ausstellung spannt sich vom frühen 19. Jahrhundert, in dem vielen Nürtingern der gesellschaftliche Abstieg und Armut aufgrund der eingeschränkten Gewerbefreiheit drohte, über die zweite Hälfte desselben Jahrhunderts, als Nürtingen an das Eisenbahnnetz angeschlossen, eine Bank gegründet, eine Gasfabrik und ein Elektrizitätswerk errichtet wurden, bis zum frühen 20. Jahrhundert, als sich das Stadtbild Nürtingens und die Lebensweise der Arbeiter grundlegend durch den Bau von Fabriken und Villen, zunehmende Mobilität, die Einführung der Stempeluhr und das Aufkommen industriell produzierter Lebensmittel veränderte. Drei Werkbänke beschäftigen sich mit den Hauptbranchen, welche Nürtingen geprägt haben: der Metall-, Textil- und Möbelbranche. Die Werkbank Metall illustriert den langsamen Untergang des Schmiedehandwerks und der Aufstieg der mechanischen Werkstätten, aus denen sich zum Teil bedeutende Werkzeug- und Maschinenfabriken wie Heller oder Metabo entwickelten. Drei Kurzfilme aus dem Archiv der Firma Heller zeigen Aufnahmen aus der Produktion. Eine kindgerechte Holzbohrmaschine lädt die jungen Besucherinnen und Besucher zum Ausprobieren ein. Die Werkbank Textil erzählt von Gesundheitswäsche, die einmal das Markenzeichen Nürtingens war. 2012 widmete sich bereits eine Sonderausstellung unter dem Motto „Reizend“ den edlen Korsetten made in Nürtingen. Wer seine Hand in ein Kästchen steckt, kann auf Tuchfühlung mit verschiedenen Wollstoffen gehen, die es zu ertasten und erraten gilt. Thema der dritten Werkbank ist die Entwicklung kleingewerblicher Schreinereien zu Möbelfabriken und Marktführern anhand der Beispiele Weller und Alex Linder. Bei der Vorbereitung der Neukonzeption hat Museumsleiterin Angela Wagner-Gnan den Blick zurück als ungemein hilfreich angesichts des digitalen Fortschritts heutzutage empfunden: „Auch in naher Zukunft werden technische Revolutionen die Arbeitswelt verändern. Wahrscheinlich mehr als das, nämlich unseren kompletten Alltag. Das löst Ängste aus. Hier ist ein Blick in die Vergangenheit ungemein wertvoll, denn auch die Menschen früherer Generationen mussten dramatische Veränderungen bewältigen.“ Bei der Umsetzung des Konzeptes in die museale Darstellung kam es der Museumsleiterin weniger darauf an, lediglich Zahlen und Fakten aufzulisten, als der thematischen Vielschichtigkeit des Industrialisierungsprozesses nachzuspüren. „Unser Arbeitsmotto lautete: Von Menschen und Maschinen. Es geht bei der Industrialisierung nicht nur um technischen Fortschritt und Unternehmertum. Es geht auch um das Stadtbild und die Arbeitswelt, um die Kultur und den Einzelhandel – um möglichst alles, was den Alltag der Menschen ausmachte“, erläutert Wagner-Gnan. Die industriegeschichtliche Abteilung sollte ursprünglich als „Spielfabrik Nürtingen“ für rund 200.000 Euro modernisiert werden. Die im Jahr 2012 dem Gemeinderat vorgestellten Pläne fielen allerdings der Haushaltskonsolidierung im Jahr darauf zum Opfer. Nachdem der Kultur-, Schul- und Sozialausschuss im November vergangenen Jahres der abgespeckten Konzeption des Planungsbüros Museo-Consult aus Stuttgart zugestimmt hatte, schloss das Stadtmuseum seine Pforten nach Ende der „Ötzi“-Ausstellung am 25. Februar, um der industriegeschichtlichen Abteilung ihr neues Gesicht zu verleihen. Die Kosten von rund 30.000 Euro werden zur Hälfte vom 2007 gegründeten Förderverein Stadtmuseum Nürtingen e.V. getragen. Die andere Hälfte wird durch Kosteneinsparungen und die Verschiebung einer Sonderausstellung um ein Jahr gedeckt. Die neue Industrieabteilung des Stadtmuseums wird am Donnerstagabend, 17. Mai um 19 Uhr feierlich eröffnet. Parallel dazu präsentiert die neue Sonderausstellung „Nürtinger Bilderbogen“ bis zum 14. Oktober Originalkunstwerke mit Motiven der Neckarstadt. Das Stadtmuseum ist in der Sommersaison bis November dienstags, mittwochs und samstags von 14.30 Uhr bis 17 Uhr sowie sonntags von 11 Uhr bis 18 Uhr geöffnet. In der Wintersaison von Dezember bis Februar ist dienstags bis freitags von 14 Uhr bis 18 Uhr sowie samstags, sonntags und an Feiertagen von 10 Uhr bis 18 Uhr geöffnet. Termine für Gruppen und Schulklassen können unter Tel.: 07022 / 36334 vereinbart werden. Weitere Informationen sind unter www.stadtmuseum.nuertingen.de erhältlich.